Zweite Bundesliga: Kyereh entscheidet den Keller-Kick


Es ist nicht immer von Vorteil, in einem nahezu leeren Stadion die Kommentare der wenigen Anwesenden gut hören zu können. Als am Freitagabend der FC St. Pauli den SV Sandhausen 1916 empfing, reklamierten drei Offizielle der Gäste, die auf der den Trainerbänken gegenüberliegenden Tribüne saßen, bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit „Hand“, „Foul“ oder „Aus“. Zudem forderten sie beim kleinsten Vergehen eines St. Pauli-Akteurs eine Gelbe Karte. Einer der Funktionäre nannte Schiedsrichter Patrick Alt (vom SV Illingen), der übrigens nur einmal „Gelb“ gegen die Hamburger zückte, eine „Schnapsnase“. Besonders unangenehm wurde es, als ein Sandhäuser verletzt zu Boden ging, die Hausherren aber zunächst im Mittelfeld (!) weiterspielten. „Spiel den Ball ins Aus, du Arschloch“, brüllte einer der drei SVS-Verantwortlichen. Darüber, ob dieses Verhalten für Funktionsträger eines Zweitligisten angemessen ist, mag sich jeder sein eigenes Urteil erlauben. Sportlich blieb das Team aus dem Nordwesten Baden-Württembergs den Beweis seiner Zweitliga-Tauglichkeit schuldig. Weil sich die St. Paulianer nach einer schwachen ersten Halbzeit steigerten, gewannen sie verdient mit 2:1.

Unglaublich aber wahr: Im Millerntor-Stadion schnupperte Guido Burgstaller an einem ganz speziellen „Blitztor-Hattrick“. Denn nachdem der Stürmer in den vorherigen Partien beim 1. FC Heidenheim 1846 (vierte Spielminute) und gegen den VfL Bochum (dritte Minute) jeweils das 1:0 erzielt hatte, zog er nun nach einem Pass von Rodrigo Zalazar von rechts kommend links an SVS-Keeper Stefanos Kapino vorbei, doch Gäste-Akteur Alexander Rossipal klärte seinen Versuch knapp vor der eigenen Torlinie per Kopf. Damit blieb es Burgstaller knapp verwehrt, seine St. Paulianer zum vierten Mal in Folge mit 1:0 in Front zu bringen. Den ersten Torschuss der Sandhäuser gab Daniel Keita-Ruel ab, der aber von halblinks aus voll verzog (6. Minute). Knapper wurde es drei Zeigerumdrehungen später bei Keita-Ruels zweitem Versuch, als er nach einer Rechtsflanke von Philipp Klingmann zum Kopfball kam, diesen aber unter der Bedrängnis von St. Paulis Kapitän Philipp Ziereis über die Latte setzte.

Als der Sandhäuser Philipp Röseler 20 Meter vor dem eigenen Tor Daniel Kofi Kyereh unfair gestoppt und dafür, sehr um Unwesen des eingangs erwähnten Trios, die Gelbe Karte gesehen hatte, zirkelte Leart Paqarada den fälligen Freistoß knapp oben rechts über die Latte (17.). Dann parierte Kapino einen satten Zalazar-Schuss sicher (26.) und fing kurz darauf auch Burgstallers Rechtsflanke, die noch abgefälscht worden war. In einem an Höhepunkten armen ersten Durchgang sorgte Kyereh für einen Farbtupfer, als er es im Anschluss an einen Eckstoß mit einem Fallrückzieher versuchte, dabei aber hängen blieb. Zaghafte Proteste des St. Paulianers auf ein Handspiel fanden bei Referee Alt zunächst keine Beachtung (31.). Stattdessen gab es auf der Gegenseite einen Freistoß für die Gäste, den Rossipal nach einer ewig anmutenden Belehrung des Unparteiischen gegenüber Kyereh von rechts in die Mitte flankte, wo St. Paulis Torwart Dejan Stojanovic den Ball im Nachfassen sicher hatte. Die wohl schönste Aktion des ersten Durchgangs startete in der 37. Minute der St. Paulianer Stefan Ohlsson, der einen Ball im Mittelfeld eroberte und dann unwiderstehlich nach vorne marschierte, ehe er knapp rechts vorbeischoss. Nachdem Omar Marmoush nach Zalazars Pass von halbrechts aus an Kapino hängen geblieben war, bat Alt die beiden Teams zum Pausentee.

Die zweite Halbzeit musste der Schiedsrichter dann gleich zweimal anpfeifen, weil Marmoush voller Tatendrang schon in die gegnerische Spielfeldhälfte gesprintet war, bevor seine Mitspieler den Anstoß ausgeführt hatten. Als der Ball dann lief, leitete Burgstaller ihn rechts im Gäste-Strafraum weiter zu Finn Ole Becker, dem er dann ins Tor-Aus versprang (46.). Die Kiez-Kicker spielten nun energischer nach vorne, allerdings fehlte zunächst weiterhin die nötige Präzision. Dies galt auch für die Standardsituationen: Paqaradas Eckball verpasste Ziereis per Kopf zunächst am ersten Pfosten und als ihm die Kugel dann wieder vor die Füße fiel, brachte er aus spitzem Winkel mit links nur ein harmloses, halbhohes Schüsschen in Kapinos Arme zustande, anstatt scharf in die Mitte zu passen (57.). Kurz darauf machte auch Kyereh einen Haken zu viel, nachdem er zunächst drei Sandhäuser im Mittelfeld ausgespielt hatte (59.).

In der 67. Minute gingen die Hamburger dann aber in Führung: Marmoushs Pass landete eher zufällig, weil abgefälscht, links im Gäste-Strafraum bei Becker, der ihn leicht über den herausstürzenden Kapino und den grätschenden Nils Röseler hinweg lupfte in die Mitte, wo Kyereh mühelos vor dem zu spät kommenden Tim Kister in das verwaiste Gehäuse vollendete. Und kurz darauf kam es noch besser für die Kiez-Kicker: Zalazar reklamierte bei seiner Linksflanke vergeblich auf Handspiel (70.). Doch beim nächsten Angriff, den James Lawrence eingeleitet hatte, zog Kyereh aus 18 Metern ab und Burgstaller veränderte noch entscheidend die Flugrichtung des Balles, so dass Kapino ihn zum 2:0 passieren lassen musste. Sollte die Deutsche Fußball-Liga nicht nachträglich entscheiden, das Tor Kyereh zuzuschreiben, so hätte Burgstaller damit tatsächlich auch im fünften Spiel in Folge getroffen.

Die Braun-Weißen schnupperten sogar am dritten Treffer innerhalb von nur sechs Minuten, als Kapino nach einem Rückpass versehentlich genau in die Füße von Burgstaller spielte, der es aus 25 Metern aber nicht selbst versuchte, sondern zu Olsson ablegte, dessen Schuss misslang (72.). Statt 3:0 hieß es kurz darauf 2:1, als eine lange Rechtsflanke von SVS-Kapitän Dennis Diekmeier, der von 2010 bis 2018 noch für den Hamburger SV gespielt hatte, von Rossipal nach innen gelegt wurde, wo Kevin Behrens per Direktabnahme aus Nahdistanz traf (75.). So mussten die St. Paulianer plötzlich wieder um ihren „Dreier“ bangen – doch abgesehen von einem Fernschuss von Alexander Esswein, der sichere Beute von Stojanovic wurde (83.), ließ die Abwehr der Heim-Elf zunächst nichts zu. Erst in der Nachspielzeit wurde es noch zweimal brenzlig, als der eingewechselte Patrick Schmidt im St. Pauli-Strafraum an den Ball kam: Doch beim ersten Versuch zielte er vorbei (92.) und bei seiner zweiten Aktion blieb er an Paqarada hängen (93.).

Nach einer sechsminütigen Nachspielzeit erlöste Alt die Hamburger mit seinem Schlusspfiff. Beachtlich: In den fünf Partien war es bereits der vierte Sieg der St. Paulianer, die von ihren vorherigen Aufgaben 15 Liga-Aufgaben nur eine gewonnen hatten. Dadurch vergrößerte sich der Vorsprung auf die Sandhäuser, die weiterhin den Abstiegsrelegationsplatz 16 belegen, auf vier Punkte.

(Johannes Speckner)

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