Aktuell: Der ETV stellt sich seiner Geschichte


Der Eimsbütteler TV, dessen Erste Fußball-Herrenmannschaft momentan in der Landesliga Hammonia um den Anschluss an die Tabellenspitze kämpft, stellte am vergangenen Wochenende die Ergebnisse der Recherchen über seine eigene Geschichte vom Kaiserreich bis zur Nazi-Zeit vor – und zog Konsequenzen, wobei einige Sporthallen und Plätze umbenannt wurden. Folgende Pressemitteilung veröffentlichte der ETV hierzu:


„Vor einem Jahr hatte der ETV beschlossen, seine politische Vereinsgeschichte von der Gründung 1889 bis hinein in die Nachkriegszeit durch unabhängige Historiker erforschen zu lassen. Die Fragen, die dabei im Zentrum des öffentlichen Interesses standen, waren:

1. Welche Bedeutung haben die Turnerkreuze an der Fassade der Großen Halle, die den Hakenkreuzen der Nazis stark ähneln? Welche Bedeutung haben sie zum Zeitpunkt des Baus des Sportzentrums um 1910 gehabt? Mit diesen Fragen hat sich der Wissenschaftsjournalist Jürgen Bischoff befasst.

2. Welche politischen Einstellungen und Mentalitäten bestimmten die Geschicke des Vereins in den ersten 60 Jahren seiner Existenz? Mit welchen Ideen und Vorstellungen wurde der Verein von den Vorständen der damaligen Zeit geführt? Der Historiker Sven Fritz hat hierzu umfangreiche Forschungen in mehreren Archiven angestellt und oräsentierte seine Erkenntnisse am vergangenen Wochenende.

3. Jürgen Sielemann von der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie hat sich den Fragen nach dem Schicksal der jüdischen ETV-Mitglieder in der Nazi-Zeit gewidmet. 177 Seiten Mitgliederlisten hat er ausgewertet. Die Ergebnisse, die er ebenfalls am vergangenen Wochenende präsentierte, bilden die Grundlage für das neue Denkmal für die ehemaligen jüdischen ETV-Mitglieder, das im Eingangsbereich vor dem Haus vorzufiden ist.

4. Der Historiker Hannes Heer tätigte einige Ausführungen zu der Frage: Wie lässt sich die Geschichte des ETV einordnen in die Geschichte der deutschen Turnbewegung und in die Geschichte des deutschen Nationalsozialismus?

Der ETV hat sich diesen Fragen vorbehaltlos gestellt - und wird jetzt mit seiner Geschichte konfrontiert. Die Befassung mit der Geschichte des Vereins wurde nicht aus dem Verein heraus, sondern von außen angestoßen, durch die Auseinandersetzungen über die Person Robert Finn und die Hakenkreuzsymbolik an der Fassade. Schon in den 90zigerer Jahren gab es hin und wieder irritierte Fragen zur Bedeutung der Turnerkreuze. Es erschien damals plausibel, mit Verweis auf das Entstehungsjahr des Hauses – 1910 – eine Interpretation der Turnerkreuze als Hakenkreuze auszuschließen. So einfach ist die Geschichte jedoch nicht, das wissen wir heute.

Bereits 2007 wurde die bis dahin so benannte Robert-Finn-Halle wieder in „Große Halle“ umbenannt, nachdem bekannt geworden war, dass der langjährige Zweite (1933 bis 1945) und Erste Vorsitzende (1948 bis 1973) Robert Finn seine Mitgliedschaft in der NSDAP über Jahrzehnte geleugnet und seine eigene berufliche Funktion in der deutschen Kriegswirtschaft vertuscht hatte. Der nun eingeleitete umfassende Prozess der Aufarbeitung der Geschichte des ETV wird von allen Gremien des ETV getragen und befürwortet. Es gibt dazu keine Alternative. Wir bedauern sehr, dass dies erst 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschieht.


Konsequenzen

Aufgrund der Ergebnisse der umfangreichen Recherchen zur Vereinsgeschichte hat der Vorstand des ETV folgende Konsequenzen gezogen:

- In Absprache mit dem Sportamt der Freien und Hansestadt werden die vom ETV genutzten Sportplätze umbenannt. Der bisherige „August-Bosse-Platz“ wird künftig „Softballplatz an der Hohe Weide“ heißen.
- Die bisherigen „Julius-Sparbier-Plätze“ heißen künftig „Sportplätze an der Bundesstraße“.
- Ebenfalls umbenannt wird der bisherige „Sparbier-Saal“ im ETV-Sportzentrum Bundesstraße.

Vor dem Haus sind gestern zwei Granitstelen aufgestellt worden. Eine ist ein Denkmal für die verfolgten und ermordeten jüdischen ETV-Mitglieder, deren Schicksale Jürgen Sielemann erforscht hat. Die zweite Stele ist als Gegendenkmal zum existierenden Kriegerdenkmal („Unseren gefallenen Kameraden“) zu verstehen: „Deutschland hat den ersten Weltkrieg mit verursacht. Es hat den zweiten geplant und begonnen.“ Beide Denkmäler wurden von dem Künstler Peter Schmidt gestaltet und von der Bildhauerin Alexandra Böhm bearbeitet und umgesetzt.

An der Fassadenseite der Großen Halle mit den steinernen Symbolen und Turnerkreuzen sind gestern zwei große Erklärungstafeln angebracht beziehungsweise aufgestellt worden. Eine davon erklärt die Genese und Problematik der Turnerkreuze, die andere Tafel informiert über die wesentlichen Erkenntnisse zum Zwangsarbeiterlager Bundesstraße 96. Der Zugang zu den Tafeln ist öffentlich gemacht worden. Beide Tafeln wurden ebenfalls von Peter Schmidt gestaltet.

Die umfangreiche historische Arbeit von Sven Fritz wird heute als Buch mit dem Titel „... dass der alte Geist im ETV noch lebt. Der Eimsbütteler Turnverband von der Gründung bis in die Nachkriegszeit“ veröffentlicht. In die Arbeit eingeflossen sind die Erkenntnisse, die Jürgen Bischoff zur Problematik der Turnerkreuze erarbeitet hat, die Recherchen von Jürgen Sielemann zur Verfolgung jüdischer Mitglieder in der NS-Zeit, sowie die neuen Erkenntnisse zum Zwangsarbeiterlager Bundesstraße 96. Herausgeber des Buches ist der ETV. Das Buch wird zum Preis von 14,80 Euro abgegeben.

Am vergangenen Wochenende fand eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel „Sich der Geschichte stellen – der ETV vom Kaiserreich bis zur Nazi-Zeit“ statt, zu der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerschaft, der Bezirkspolitik, der jüdischen Gemeinde und der Sportverbände und -vereine erschienen. Die an diesem Erinnerungsprojekt Beteiligten haben dort ihre Recherchen ausführlich erläutert. Die Veranstaltung wird für alle Vereinsmitglieder in einem kostenlosen Sonderheft des ETV-Magazins im November dokumentiert.


Fazit

Der ETV stellt sich – wenn auch spät – seiner historischen und moralischen Verantwortung. Die Erkenntnisse, die nun vorliegen, können nicht ignoriert werden. Es ist für das Selbstverständnis eines modernen Vereins grundlegend, sich seiner Geschichte bewusst zu sein, auch der Schuld und des Unrechts, und die Verantwortung anzunehmen, die daraus für die Zukunft resultiert. Unsere heutige demokratische und pluralistische Grundhaltung zeigt sich auch in einem unverklärten Blick auf die Vergangenheit.


Danksagung

Die Recherchen zur Vereinsgeschichte und die daraus resultierenden Maßnahmen und Konsequenzen sind von vielen Beteiligten unterstützt und vorangetrieben worden, denen wir für ihre Mitarbeit sehr herzlich danken.

Unser besonderer Dank gilt Sven Fritz, Jürgen Bischoff, Jürgen Sielemann und der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., Hannes Heer, Peter Schmidt und seinen Mitarbeitern, Alexandra Böhm, Jens Geiger, Andreas Salomon-Prym, Frank Lungenstrass und Dietrich Lüders.“


(JSp)

 Redaktion
Redaktion Artikel