Oberliga: Fischer ist nach der Trennung enttäuscht


Am Montagabend endete beim Hamburger Oberligisten VfL Pinneberg eine Ära: Die VfL-Verantwortlichen gaben die Trennung von Michael Fischer, der in der Fahltsweide seit zehneinhalb Jahren als Trainer tätig war, bekannt (SportNord berichtete, siehe unten stehenden Link). Am Dienstag nahm sich der 48-Jährige Fischer Zeit für ein großes Interview, in dem er über seine Zeit beim VfL, die Probleme in dieser Saison, die Trennung und die Zukunft spricht ...

SportNord: Wann und wie ist Ihnen die Nachricht von der Trennung übermittelt worden?
Fischer: „Am Montagnachmittag hat Heinz Sellmann mich angerufen und gefragt, ob wir uns am Abend treffen könnten. In einem Gespräch mit Sellmann, Manfred Kirsch und Uwe Hönke wurde mir dann im Klubheim mitgeteilt, dass es beim VfL ab sofort ohne mich weitergehen wird. Ich bin lange genug im Geschäft und musste im letzten Jahr aufgrund von gesundheitlichen Problemen einige Nächte durchleben, die nicht besonders schön waren. Die Nacht von Montag auf Dienstag war aber trotzdem noch einmal besonders heftig ‒ diese Geschichte nagt schon sehr an mir!“

SportNord: Wie waren die Reaktionen aus Ihrem privaten und sportlichen Umfeld?
Fischer: „Am Montag habe ich gefühlt von 20 Uhr bis 3 Uhr nur am Telefon gehangen, und am Dienstag seit 7 Uhr morgens wieder ‒ während das Handy am Ladekabel und in der Steckdose steckte. Es war überwältigend, was ich an Mitteilungen und Anrufen bekommen habe: Von Ex-Spielern, Trainerkollegen, Schiedsrichtern, Freunden und Bekannten. Ich arbeite alle Nachrichten ab, bin damit aber noch lange nicht fertig.“

SportNord: Wie geht es Ihnen einen Tag, nachdem sich der VfL von Ihnen getrennt hat?
Fischer: „Ich bin natürlich enttäuscht, das ist gar keine Frage. Die Entscheidung, die die VfL-Verantwortlichen getroffen haben, weil sie das Gefühl hatten, dass ich die Mannschaft nicht mehr so erreichen und motivieren könnte, dass wir am Ende gemeinsam den Klassenerhalt schaffen, muss ich natürlich sportlich respektieren ‒ aber ich sehe es anders. Nehmen wir unser vorletztes Oberliga-Spiel vor der Winterpause bei der TuS Dassendorf, wo sich Sascha Richert in der 90. Minute auf der Torlinie quasi die Eingeweide herausschießen lässt, um das 1:1 zu retten ... Und Ende Dezember haben wir in Horst nicht nur ein gutes Hallenturnier gespielt, sondern ‒ so hat es sich zumindest für mich angefühlt ‒ die Spieler auch viel Spaß gehabt. Deshalb überwiegt ganz klar die Enttäuschung!“

SportNord: Dass die VfL-Verantwortlichen sich Sorgen um den Klassenerhalt machen, ist aber verständlich, oder?
Fischer: „Die 13 Punkte, die wir momentan haben, drücken faktisch aus, dass es eng ist. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass wir beispielsweise schon zweimal gegen die starken Gegner Dassendorf und SC Condor gespielt haben, aber noch gar nicht gegen den SV Lurup angetreten sind ... Letztlich muss ich die Angst oder Sorge der Vereinsverantwortlichen aber respektieren. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren und sportlich hinzunehmen, wenn sie das Gefühl haben, sie könnten den Klassenerhalt mit mir nicht schaffen.“

SportNord: Wie fällt Ihr Fazit aus, wenn Sie das Jahr 2015 Revue passieren lassen
Fischer: „Im letzten Jahr sind einige Dinge vorgefallen, die mich auch menschlich sehr enttäuscht haben. Aber ich bin dafür verantwortlich gewesen, die Mannschaft ein- und aufzustellen, die Taktik vorzugeben und die Spieler zu motivieren oder eben zu demotivieren. Und um es gleichermaßen ehrlich und deutlich zu sagen: Es war ein bescheidenes Jahr, in dem fast alle beim VfL weit unter ihrem eigentlichen Niveau gespielt haben. Aber nach zuvor zwei guten Spielzeiten, die wir jeweils auf dem vierten Tabellenplatz abgeschlossen haben, kann es immer auch einmal ein schlechtes Jahr geben. Davon können im ,großen' Fußball auch Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund oder ganz aktuell der FC Chelsea London ein Lied singen ...“

SportNord: Denken Sie, dass Sie die Kurve noch bekommen und mit dem VfL den Klassenerhalt geschafft hätten?
Fischer: „Ja, definitiv! Aber die Verantwortlichen hatten das Vertrauen in mich nicht mehr, was ich respektiere und hoffe, dass nun mit Thorben Reibe der Ligaverbleib gelingt. Sollte der VfL am Ende absteigen, wäre ich natürlich ein Teil dieses Abstiegs ‒ aber ich bin mir sicher, dass es soweit nicht kommen wird, sondern Reibe den Klassenerhalt schafft. Benjamin Brameier kommt jetzt zurück und Christian Dirksen hat seine Verletzung auskuriert ... Und die Prozentpunkte Glück, die zuletzt gefehlt haben, als uns durch schlechte Vorteilsauslegung der Schiedsrichter gegen Condor zwei aussichtsreiche Situationen in der Nachspielzeit abgepfiffen worden sind und Schüsse von uns nicht nur von der Lattenunterkante ins Feld zurücksprangen, sondern im Gegenzug dann auch ein Gegentor fiel, wird Reibe hoffentlich auch haben.“

SportNord: Hätten Sie sich eine frühere Trennung, beispielsweise direkt nach dem letzten Spiel vor der Winterpause am 19. Dezember, gewünscht?
Fischer: „Natürlich hätte der Verein diesen Schritt früher vollziehen können. Nachdem wir uns an jenem 19. Dezember vom Meiendorfer SV mit einem 0:0 getrennt hatten, habe ich mich ja schon mit Kirsch ausgetauscht. Dabei habe ich auch gesagt, dass die Verantwortlichen, wenn sie der Meinung sind, ich sei nicht der Richtige, um den Klassenerhalt zu realisieren, reagieren sollten. Wäre eine Trennung noch vor Weihnachten erfolgt, hätte ich das so genannte Fest der Familie und Liebe anders, nämlich tatsächlich nur mit meiner Familie, verbringen können, und wäre nicht am Zweiten Weihnachtsfeiertag mit meinem Sohn zum Hallenturnier nach Wedel gefahren ... Es ist ja immer schwer, für das dortige Turnier genügend Spieler zusammenzubekommen ‒ aber es gibt die Absprachen der Vereine untereinander, dass man gegenseitig an seinen Turnieren teilnimmt, und infolgedessen hatte auch der VfL die Pflicht, in Wedel anzutreten. Rückblickend betrachtet ist es für mich allerdings in der Tat bitter, dass ich das alles noch mit organisieren durfte, um dann zwei Wochen später zu erfahren, dass es das jetzt für mich beim VfL war ... Aber am Montagabend sagten mir die Verantwortlichen auch, dass sie sich zwischen Weihnachten und Silvester noch einmal zusammengesetzt hätten ‒ vielleicht fehlte ihnen vor Weihnachten dafür schlicht und ergreifend die Zeit.“

SportNord: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Zeit beim VfL zurück?
Fischer: „Unter dem Strich waren es zehneinhalb großartige Jahre. Obwohl wir 2008 in die Landesliga abgestiegen sind, war ich unumstritten: Der Verein hat an mir festgehalten und wir sind drei Jahre später wieder aufgestiegen. Gerade mit Konrad Kosmalla, dem es zuletzt leider gesundheitlich auch nicht gut ging, war es eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit: Wir haben die Verträge und Absprachen immer zusammen gemacht. Es war eine sehr bewegende Zeit mit einem stetigen Auf und Ab, mit einem Abstieg und einem Aufstieg, dann zwei vierten Plätzen ‒ und jetzt sind wir eben Viertletzter und es folgte die Entlassung. Aber das ist Fußball, es kann immer in die eine oder in die andere Richtung gehen. Unter dem Strich bin ich der Meinung, haben wir mit finanziell sehr eingeschränkten Mitteln und auch sehr eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten mit den beiden vierten Plätzen in der Oberliga das Optimum herausgeholt.“

SportNord: Wie sehr ärgert es Sie, dass Ihnen durch die vorzeitige Trennung ein ,würdiger Abschied' verwehrt geblieben ist?
Fischer: „Es lief zuletzt nicht gut, und dann geht es überhaupt nicht darum, ob ich als Trainer einen guten Abschied habe, sondern es geht einzig und allein um das Wohl der Mannschaft und des Vereins. In der Oberliga zu bleiben, ist für den VfL auch im Hinblick auf die Sponsoren und die Zuschauer von größter Bedeutung. Heutzutage ist ein Vereine ja auch ein Wirtschaftsunternehmen, so dass bei ausbleibendem sportlichen Erfolg ein gewisser Mechanismus in Gang gesetzt wird. Jetzt ist es an Reibe, mehr aus den Spielern herauszuholen, als es mir zuletzt gelang ‒ und die Spieler sind jetzt in der Pflicht, Gas zu geben!“

SportNord: Was trauen Sie dem Trainer Reibe kurz- und langfristig zu?
Fischer: „Ich bin davon überzeugt, dass er sich einen sehr, sehr guten Ruf als Trainer erarbeiten wird. Aber dass er nun ein halbes Jahr früher als zunächst geplant ins kalte Wasser geworfen wird, tut mir leid für ihn. Er muss sich jetzt genau überlegen, ob er seine aktive Karriere beendet und dadurch als Führungsfigur auf dem Platz fehlt, oder ob er als Spielertrainer fungiert und sich dadurch zusätzlich in die Schusslinie bringt. Ich hoffe und wünsche ihm, dass er den Spagat schafft und die richtige Entscheidung trifft. Ich glaube, dafür ist er erfahren genug ‒ und auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich bin mir absolut sicher, dass Reibe mit dem VfL die Klasse halten wird!“

SportNord: Wann und wie werden Sie sich von der Mannschaft verabschieden?
Fischer: „Beim großen Hallenturnier am kommenden Wochenende werde ich nicht in der Halle sein ‒ denn wenn ich das Turnier besuchen würde, würde ich vom sportlichen Geschehen selbst sowieso nichts mitbekommen, weil ich sicherlich hunderte Male über die Trennung reden und mich rechtfertigen müsste, was ich nicht möchte. Ich denke, das sollte eher eine Sache des Vorstandes sein. Am Dienstagvormittag habe ich bereits eine Stunde mit Reibe, dem ich die Geschäfte ja sozusagen übergebe, telefoniert. Am kommenden Montag, 11. Januar ist der offizielle Trainingsauftakt im neuen Jahr und ich gehe momentan davon aus, dass ich mich am Dienstagabend vernünftig von den Spielern der Ersten und Zweiten Mannschaft verabschieden werde. Dann ist das Kapitel VfL für mich auch offiziell abgeschlossen und eine neue Ära beginnt.“

SportNord: Wo sehen Sie Ihre fußballerische Zukunft?
Fischer: „Ich muss das Ganze jetzt erst einmal sacken lassen und in den kommenden Tagen den Schlaf, der mir aufgrund der jüngsten Ereignisse fehlt, nachholen ... Und dann lasse ich alles ganz in Ruhe auf mich zukommen. Wenn ein Angebot kommt, höre ich es mir gerne an, denn ich möchte auch zukünftig unbedingt weiter als Fußballtrainer tätig sein ‒ aber ich werde definitiv nur eine Aufgabe übernehmen, bei der auch die Perspektive stimmt, und mich nicht prostituieren, nur um kurzfristig etwas zu machen. Am Montagabend um 23 Uhr habe ich schon eine erste Anfrage bekommen, ob ich mit sofortiger Wirkung eine Mannschaft übernehmen möchte ‒ aber da habe ich abgesagt.“

SportNord: Wäre für Sie eine halbjährige oder gar noch längere Pause als Trainer überhaupt vorstellbar?
Fischer: „Warum nicht? Ich würde dann als neutraler Beobachter zum Fußball gehen und Schiedsrichter bepöbeln, ohne dass sie mich dafür hinter die Bande schicken können ... Nein, mal ganz im Ernst: Freizeit, Familie und Frau sowie Freunde, die in den letzten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren immer wieder sehr zurückstecken mussten, stehen jetzt erst einmal im Vordergrund. Außerdem wird es mir nun vielleicht möglich sein, meine Dauerkarte bei den Hamburg Freezers intensiver zu nutzen ‒ und ich werde mich jetzt eben stärker als geplant bei den Renovierungsarbeiten, die es im Frühjahr bei uns zuhause geben soll, einbringen müssen ...“

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