
„Wir sind den ganzen Tag auf der Autobahn unterwegs, mein Mann hat heute keine Zeit. Sie können frühestens morgen mit ihm telefonieren!“ Mit dieser Aussage wies die Frau von Hajo Wolff, dem Ersten Vorsitzenden des SC Nienstedten, die SportNord-Bitte um ein Telefongespräch ab. Dabei besteht Redebedarf, denn der SCN hat sich zu Wochenbeginn von seinem Coach Nils Kuntze-Braack getrennt; Jörg Richard ist beim Landesliga-Absteiger nun alleiniger Trainer.
Kuntze-Braack, der erst im Sommer mit 14 Spielern aus der SCN-Reserve (Kreisliga 7) zur in die Bezirksliga West abgestiegenen Ersten Mannschaft gewechselt war (SportNord berichtete, siehe unten stehenden Link), nahm sich dagegen Zeit für ein Interview ...
SportNord: Wie kam es dazu, dass Sie als SCN-Coach entlassen wurden?
Nils Kuntze-Braack: „Als wir am vergangenen Freitag bei Blau-Weiß 96 Schenefeld mit 2:6 verloren, habe ich in der Halbzeitpause den einen oder anderen Spieler kritisiert. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und spreche beim Fußball oft das aus, was mir auf der Zunge liegt, ohne darüber nachzudenken. Nachdem ich entsprechende Widerworte erfuhr, habe ich noch während des Spiels zu Jörg Richard gesagt, dass ich derzeit keine Lust mehr verspüre weiter zu machen. Direkt nach dem Spiel und dem Duschen bin ich dann, relativ wortlos, abgehauen, nachdem ich noch ein, zwei Spielern gesagt hatte, dass das so alles keinen Sinn mehr macht.“
SportNord: Haben Sie den Gedanken an einen Rücktritt dann wieder verworfen?
Kuntze-Braack: „Ich will immer gewinnen und hasse es, zu verlieren – deswegen war ich nach der 2:6-Pleite sehr enttäuscht. Aber nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, habe ich am Sonnabend mit Richard telefoniert und wir haben besprochen, dass wir wie gehabt weiter machen wollen. Die Spieler hatten genau das erwartet: Richard hatte ihnen am Freitag in der Kabine gesagt, dass sie mich eine Nacht über das Ganze schlafen lassen sollten. Und die Spieler, mit denen ich im Sommer 2009 mit dem Reserve-Team den Aufstieg aus der Kreisklasse in die Kreisliga geschafft hatte, kennen mich größtenteils schon seit drei Jahren und wussten auch, wie ich ticke ...“
SportNord: Also hatten Sie am Sonnabend beschlossen, dass alles seinen gewohnten Gang weitergehen sollte?
Kuntze-Braack: „Da die Situation trotzdem nicht zufriedenstellend war, habe ich am Montag alle Spieler zu einer Mannschaftssitzung, die am Dienstagabend stattfinden sollte, eingeladen. Zwischendurch hatte aber der Vorstand von meinen Rücktrittsgedanken Wind bekommen – zwar stand in Schenefeld niemand vom Vorstand hinter der Trainerbank, aber ein Spieler von uns wohnt momentan beim Ersten Vorsitzenden. Und nach dem Spiel sind einige Spieler dorthin gefahren, um sich im Fernsehen noch das Ende vom Bundesliga-Spiel zwischen Hannover 96 und dem FC St. Pauli anzuschauen. Bei Herrn Wolff erschienen die Spieler mit ihrer Fußball-Kleidung, die ich normalerweise immer mitnehme ... Als Herr Wolff daraufhin erfuhr, was passiert war, soll er sinngemäß gesagt haben: ‚Das kennen wir von Nils, aber morgen ist die Welt für ihn wieder in Ordnung!‘“
SportNord: Bei Ihnen war das ja auch tatsächlich so, beim Vorstand aber offensichtlich nicht ... Wie ging es weiter?
Kuntze-Braack: „Einige Herrschaften aus dem Vorstand wollten offensichtlich die Gunst der Stunde nutzen und meinen Rücktritt akzeptieren, obwohl ich diesen ja gegenüber dem Vorstand nie geäußert oder gar offiziell gemacht hatte. Dies teilte der Vorstand am Samstagabend auch Jörg Richard mit. Dann teilte mir Herr Wolff, der mittlerweile in einen Kurz-Urlaub aufgebrochen war, am Dienstagvormittag telefonisch mit, dass ich nicht zu der Mannschaftsbesprechung erscheinen solle ...“
SportNord: Mit welcher Begründung wurden Sie von der Besprechung ausgeladen?
Kuntze-Braack: „Als ich Herrn Wolff dies fragte, sagte er, dass die ‚ganze Mannschaft‘ nicht wollen würde, dass ich zu der Besprechung komme. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass niemand aus der ‚ganze Mannschaft‘ davon wusste ... Als sich das Team am Dienstagabend dann ohne mich zusammensetzte, wurde aber beschlossen, den Vorstandsbeschluss mitzutragen und ab sofort ohne mich zu arbeiten, um in Sinne der Mannschaft und des Vereins zu handeln. Allerdings habe ich schon zahlreiche Anrufe und E-Mails erhalten, in denen viele Spieler ihr Bedauern über diese Entscheidung zum Ausdruck brachten. Aber Fakt ist: Zwischen dem Vorstand und mir gibt es schon seit mehreren Wochen eine Meinungsverschiedenheiten!“
SportNord: Sind Sie der SCN-Führung zu unbequem?
Kuntze-Braack: „Ganz klar: Ja! Dadurch, dass ich manchmal erst nachdenke, nachdem ich etwas gesagt habe, und gerne Kritik äußere, wenn in meinen Augen etwas falsch läuft, haben einige Herrschaften ein Problem mit mir. Ich bin sehr ehrgeizig, wurde des Öfteren schon vom Vorstand gebeten, mein Engagement zurückzuschrauben, was aber nicht einfach ist, wenn man Erfolg haben will.“
SportNord: Ist Ihr Ausscheiden beim SCN denn nun endgültig, oder könnte es noch einen Weg zurück geben?
Kuntze-Braack: „Ich schließe im Moment eine Rückkehr aus, aber man sollte niemals nie sagen. Ich habe erst am Freitag eine Aussage getätigt, die ich einen Tag später bereut habe. Ich werde mich in den nächsten Wochen jedenfalls aus dem SCN-Umfeld entfernen. Letztlich ist das ja auch kein Problem, so etwas passiert im Fußball ... Nur die Art und Weise stößt mir sauer auf, dass der Vorstand die Mannschaft als Alibi benutzt – und das, wo ich insgesamt seit über 25 Jahren im Verein bin. Letztlich sind beim SCN die Spieler die Leidtragenden, und sie können am wenigsten dafür – sie hätten höchstens in Schenefeld besser spielen können ...“
SportNord: Wie ist es zu erklären, dass der SCN aus den ersten vier Partien neun Punkte holte und aus den folgenden sechs Spielen nur noch zwei Zähler hinzukamen?
Kuntze-Braack: „Fußballerisch gehört diese Mannschaft unter die Top-Fünf der Bezirksliga West. Aber es gab zwei Probleme: Erstens konnten wir nicht einmal mit derselben Aufstellung wie im Spiel vorher antreten was an urlaubenden, arbeitenden oder verletzten Spielern lag... Zweitens, und das ist der größte Faktor, sind die Spieler ganz einfach nicht mit dem letzten Willen bei der Sache! Zuerst lief es gut: Wir kamen aus dem Trainingslager, haben im Pokal beim SuS Waldenau gewonnen, diese Euphorie mit in die Liga genommen und beim FC Elmshorn II sowie gegen den Kummerfelder SV gewonnen. Im Pokal wurde der TSV Stellingen 88 ausgeschaltet, bevor es beim TuS Osdorf eine 0:6-Klatsche gab, bei der wir aber gut mitspielten. Dann schlugen wir TBS Pinneberg, scheiterten unglücklich im Pokal an der SV Lieth und verloren dann mit 2:4 beim SV Rugenbergen II ...“
SportNord: ... und danach bekam Nienstedten kaum noch ein Bein auf den Boden!
Kuntze-Braack: „Ja, das Rugenbergen-Spiel hat einen Knacks gebracht, weil wir da ganz klar die bessere Mannschaft waren. Vermutlich, weil wir trotzdem verloren haben, haben die Spieler plötzlich alles infrage gestellt. Und die Herren vom Vorstand, die sich bei den ersten Spielen, als es noch rund lief, selbst auf die Schulter geklopft hatten, waren plötzlich nicht mehr zu sehen. Im Frühjahr 2010 hatte es ja Aussagen gegeben, dass es egal wäre, ob wir nun in der Landes- oder Bezirksliga spielen: ‚Wenn wir absteigen, dann steigen wir eben ab‘, hieß es damals. Vielleicht gibt es ja jetzt bei einigen Herrschaften auch den Gedanken dass es egal ist, ob wir in der Bezirks- oder Kreisliga spielen ...“
SportNord: Ist es denn wenigstens den SCN-Spielern wichtig, in welcher Liga sie kicken?
Kuntze-Braack: „Nun ja, wie bei vielen anderen Bezirksligisten auch sind es Freizeit-Kicker, die ihren Spaß haben wollen und donnerstags noch nicht wissen, gegen wen sie am Sonntag spielen – aber genau sagen können, wann die Spieler von Real Madrid welche Fußballschuhe mit welcher Farbe getragen haben ... Jörg Richard und ich haben uns bis auf ein, zwei Gegner alle Kontrahenten angeschaut und zusätzlich von Trainerkollegen Informationen geben lassen. Als wir dann beispielsweise in der Besprechung vor dem Spiel gegen den SV Eidelstedt erzählten, worauf wir achten und was wir vermeiden müssen, hörten einige Spieler aber nicht zu, sondern guckten lieber durch die Fenster unserer Zweiten Mannschaft zu, die gerade gegen den TV Haseldorf spielte ...“
SportNord: Ist ein Ergebnis wie das 2:6 in Schenefeld also auch mit einer mangelhaften Einstellung zu erklären?
Kuntze-Braack: „Das beste Beispiel war am vergangenen Freitag nach jener 2:6-Klatsche, dass die erste Frage in der Kabine war, wie es beim Bundesliga-Spiel von St. Pauli in Hannover steht. Ein Spieler wusste bereits, dass St. Pauli mit 1:0 führt und Marius Ebbers getroffen hat – diese Information muss er sich auf dem Weg vom Platz in die Kabine irgendwie besorgt haben ... Die zweite wichtige Frage eines Spielers war: ‚Wo gehen wir jetzt etwas Saufen?‘ Als ich das hörte, habe ich gedacht: Wo bin ich hier eigentlich? Anstatt die Fehler zu analysieren und über die deutliche Pleite sauer zu sein, dachten die Spieler nur an das laufende Bundesliga-Spiel ... Und anstatt dass ihnen die Niederlage nahe ging, wollten sie feiern gehen ... Aber das ist kein Problem, was der SCN alleine hat: Die Fußballer ab der Bezirksliga abwärts haben die Einstellungsprobleme, da wird gern einmal das Training oder Spiel für eine Bundesliga- oder Champions-League-Partie ‚geschwänzt‘. Die heutige Generation von Fußballern ist nicht mehr bereit, sich zu quälen!“
SportNord: Fühlt man sich als Trainer in so einer Situation ohnmächtig?
Kuntze-Braack: „Es ist auf jeden Fall frustrierend, wenn niemand dazu bereit ist, die eigenen Fehler zu analysieren oder sich auf dem Platz den Hintern aufzureißen. Als wir in Schenefeld nach gut 20 Minuten mit 0:3 zurücklagen und ich geschockt war von der Art und Weise, wie wir an jenem Abend Fußball spielten, habe ich auf den Platz gebrüllt: ‚Jetzt zeigt endlich mal Engagement!‘ Dann kam von drinnen der Spruch zurück: ‚Sei mal ruhig da draußen, du bringst nur Unruhe rein!‘ Meiner Meinung nach kann etwas Unruhe nicht schaden, wenn es 0:3 steht, oder sind wir beim Alt-Herren-Fußball? Aber wenn man als Trainer die Spieler aufwecken will, wird man noch zur Räson gebracht ... Und in der Pause musste ich mir noch den respektlosen Satz anhören!“
SportNord: Haben Sie angesichts dieser Entwicklung überhaupt Lust, zukünftig noch einmal bei einem Amateur-Verein eine Aufgabe zu übernehmen?
Kuntze-Braack: „Zunächst einmal muss ich die ganzen Geschehnisse jetzt sacken lassen. Natürlich werde ich dem Amateur-Fußball weiter treu bleiben und am liebsten würde ich auch dem SCN treu bleiben – aber dadurch, dass das Tischtuch mit dem Vorstand zerschnitten ist, könnte ich im Quellental wohl höchstens noch beim Senioren-Team Fußball spielen. Wenn zukünftig irgendein Verein bei mir anfragen sollte ob ich Betreuer, Liga-Obmann oder Hütchen-Aufsteller werden möchte, dann würde ich mir das schon anhören!“
Interview: Johannes Speckner