
(Foto-Credit: Johannes Speckner)
„Ein Trainer ist nicht ein Idiot.“ Diese Aussage von Giovanni Trapattoni während seiner Wutrede 1998 gilt natürlich auch für Vereinsvorstände und Fußball-Abteilungsleitungen – ganz besonders, wenn sie sich so, wie Marco Ritter, schon seit frühesten Jugendtagen für ein und denselben Verein engagieren. Deshalb ist davon auszugehen, dass der 51-Jährige Ritter als Fußball-Abteilungsleiter des VfL 93 Hamburg und seine Mitstreiter die Entscheidung, die zweite Mannschaft nicht mehr für die Bezirksliga zu melden, keiensfalls aus einer Laune heraus, sondern wohlüberlegt trafen.
SportNord fragte deshalb nach den Anschuldigungen und Vorwürfen, die vonseiten des VfL 93 II via Instagram und Bolzplatzhelden erhoben wurden, bei Ritter nach. „Eigentlich wollten wir als Verein uns gar nicht zu der Angelegenheit äußern, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen“, erklärte Ritter, der seine Sichtweise dann aber auf Bitten von SportNord doch schilderte. „Natürlich haben wir uns mit der Entscheidung nicht leicht getan. Denn welcher gesund denkende Verein würde freiwillig eine Bezirksliga-Mannschaft auflösen und auf die Beiträge von angeblich 23 Mitgliedern – und so viele Spieler hätten ja laut den jüngsten Mitteilungen für die kommende Saison zur Verfügung gestanden – verzichten?“ Aber seine Mitstreiter und er hätten „das Ganze gut abgewogen und für den Verein das Beste entschieden“, versicherte Ritter.
In der Vergangenheit habe es „wiederholt Vorkommnisse gegeben, bei denen sich die zweite Mannschaft nicht nur immer mehr zum ‚Verein im Verein‘ entwickelt, sondern auch Disziplinlosigkeiten geleistet hat.“ So sei im Mai 2023, als das Reserve-Team den Gewinn der Meisterschaft in der Kreisliga 6 und den Aufstieg in die Bezirksliga feierte, „in der Kabine deutlich mehr passiert, als dass nur zwei Spritzer Sekt an der Decke gelandet sind“, sagte Ritter mit Blick auf die Darstellungen vonseiten des VfL 93 II. Die Kabine, die laut Ritter „nur wenige Wochen zuvor seitens der Behörde renoviert worden war“, hätte nach den ausufernden Feierlichkeiten „durch umfangreiche Malerarbeiten wieder instand gesetzt werden müssen“.
Ritter zählte weitere Verfehlungen auf, die sich die Zweitvertretung in den letzten Jahren leistete: „Es wurde nicht nur einmal nach dem Training über Nacht das Flutlicht brennen gelassen, es wurden nicht nur einmal die Gebäude und die Sportanlage nicht abgeschlossen – und es wurde nicht nur einmal vergessen, die großen Tore zurückzustellen und zu sichern, was auf dem Sportplatz Meerweinstraße eine Unfallgefahr darstellt, weil der Sportplatz von der Stadtteilschule Winterhude als Schulhof genutzt wird.“ Zudem wurden die Kabinen laut Ritter nach den Freitagabend-Heimspielen der 2. Herren „wiederholt so verdreckt zurückgelassen, dass die Jugendtrainer sie erst einmal reinigen und aufräumen mussten, bevor Kinder sich dort sonnabends aufhalten und umziehen konnten“.
Ärger gab es auch in Bezug auf den Alkoholkonsum: Wegen „schwerer Verfehlungen“, so Ritter, sei für die Spiele der 2. Herren ein sechswöchiges Alkoholverbot verhängt worden. Ein Verbot gegen die 2. Mannschaft sprach im Sommer 2023 laut Ritter auch der Platzwart der Anlage am Borgweg aus, und zwar für die Zeit der Vorbereitung auf die erste Bezirksliga-Saison 2023/2024: „Sie durfte die Sportanlage in den sechs Wochen vor dem ersten Spieltag nicht nutzen.“ Zudem habe der Platzwart laut Ritter „angedroht, ein dauerhaftes Platzverbot zu verhängen“.
Das Fass zum Überlaufen brachte allerdings ein von den Spielern des Reserve-Teams laut Ritter „erzwungener Trainerwechsel im Februar“. Auch hier beleuchtete Ritter ausgiebig die Hintergründe und blickte über ein Jahr zurück: Im Herbst 2023 habe der damalige Trainer Robert Molthan (ehemals Block) dem Vorstand gegenüber seinen Rückzug zum Ende der Saison 2023/2024 angekündigt: „Er wollte eine Weltreise machen“, erinnert sich Ritter. Als dann die Spieler der 2. Herren „plötzlich nicht mehr zum Training kamen, hat der Coach dem Team ein Ultimatum von zwei Wochen gesetzt und, weil wir es weiter keine Besserung eintrat, seinen Rücktritt eingereicht“, so Ritter. Daraufhin habe der Verein „gehandelt und der Mannschaft mit Andre Bokalarsky, der eigentlich Co-Trainer von Martin Roth bei den 1. Herren war, einen neuen Übungsleiter zur Verfügung gestellt.“
Mit Bokalarsky steigerte sich der VfL 93 II ab Ende Februar 2024 deutlich: 24 Punkte aus zwölf Partien (Schnitt von 2,0) genügten soeben, um am Ende der Spielzeit 2023/2024 mit zwei Zählern Vorsprung auf den Drittletzten ASV Bergedorf 85 als Tabellen-13. den Klassenerhalt zu schaffen. Zum Vergleich: Aus seinen vorherigen 18 Begegnungen hatte der damalige Siebtliga-Neuling lediglich acht Punkte geholt (Schnitt 0,44). „Trotzdem kamen im Herbst 2024 auch Diskussionen um Bokalarsky auf und mit den Temperaturen sank auch die Trainingsbeteiligung wieder auf ein Minimum“, erinnerte sich Ritter.
Ist die geringe(re) Zahl von Kickern, die in den Wintermonaten an Übungseinheiten teilnehmen, im Amateurbereich ein weit verbreitetes und somit auch Ritter schon seit vielen Jahren bekanntes Problem, so staunte der Fußball-Abteilungsleiter nicht schlecht, als er im Februar einen Anruf von einem Mitglied des Mannschafrsrats bekam. „Er sagte mir, er wolle mich ‚nur informieren, dass wir den Trainer rauswerfen‘.“ Als Ritter entgegnete, von Vereinsseite aus gebe es kein Interesse daran, den Coach auszutauschen, und die Mannschaft selbst dies gar nicht könne, wurde er für denselben Abend zu einer Besprechung eingeladen. „Daraufhin habe ich meine für diesen Abend geplante Teilnahme an einer Geburtstagsfeier abgesagt und bin an die Meerweinstraße gefahren“, erinnerte sich Ritter.
Dort angekommen, traf er auf seinem Weg zum Besprechungsraum Bokalarsky: „Er fragte mich, ob ich wissen würde, um was es bei dem Treffen gehen solle – sprich er wusste auch nichts davon, dass die Mannschaft nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollte“, erklärte Ritter. Im Zuge der Abstimmung über den Trainer sei „von Teilen der 2. Herren der Charakter der eigenen Mannschaft infrage gestellt worden“, so Ritter, der beobachtete, dass „daraufhin zwei der nur sechs anwesenden Spieler überlegten, sofort aufzuhören“. Letztlich sei es so weit gegangen, dass es „von der Mannschaft eine Erpressung dahin gehend gab, dass sie gesagt hat, mit Bokalarsky an der Seitenlinie nicht mehr antreten zu wollen“, klagte Ritter.
Zwei Wochen später wurde Bokalarsky dann von Roth zurück zur Liga-Mannschaft geholt. Laut Bokalarsky und Ritter war es aber „keinesfalls so, dass, wie von Seiten der 2. Herren dargestellt, der Verein die Rollen tauschen wollte, sondern dies ausschließlich der Wunsch der 2. Mansnschaft war“. Zudem stellte Bokalarsky klar, dass es zwischen den 2. Herren und ihm seither „gar kein Verhältnis mehr gab“. Fakt ist: Beim VfL 93 II wurde Oliver Schacht, der zuvor als Co-Trainer laut Ritter „auch nicht allzu oft anwesend war“, zum neuen Übungsleiter, woraufhin er seine Trainingspräsenz „deutlich steigerte“.
Weil die 2. Herren schon zuvor für zahlreiche ihrer Spiele bei den anderen drei Herren-Teams, den 1., 3. und 4. Herren, „um Unterstützung in Form von Leihgaben gebeten hatten“, so Ritter, habe er nach dem von Mannschaftsseite erzwungenen Trainerwechsel „eine klare Ansage gemacht“. Diese lautete: „Sollte es auch nur einen einzigen Nichtantritt geben, werden wir intern handeln und die 3. oder 4. Mannschaft zur neuen 2. Mannschaft machen, um nicht die 2. Mannschaft aus der Bezirksliga abmelden zu müssen, zumal das deutlich teurer gewesen wäre.“ Dieser Schritt wurde aber nicht nötig: Die Reserve steigerte unter Schacht ihre Trainingsbeteiligung deutlich und trat zu jedem Spiel an. Auch die Ergebnisse verbesserten sich sich und das Team schaffte mit 16 Punkten aus elf Partien unter Schachts Regie – aus den vorherigen 19 Begegnungen hatte sie lediglich 13 Zähler geholt – als Tabellen-Zwölfter der Bezirksliga Ost erneut den Klassenerhalt.
Den vonseiten der Mannschaft formulierten Vorwurf der Altersdiskriminierung dementierte Ritter energisch. „Warum sollte ich als 51-Jähriger mich hinstellen und ein Team, dessen Mitglieder jünger sind als ich, als ‚zu alt‘ kritisieren?“ Vielmehr war es laut Ritter so, dass es „aus dem Kreis des Mannschaftsrats selbst hieß, dass der Altersschnitt zu hoch für die kommende Saison sei, weshalb die Mannschaft sich dringend verjüngen müsse“. Deshalb und weil der Mannschaftsrat vor wenigen Wochen noch davon gesprochen habe, dass es „lediglich 15 bis 17 Zusagen von Spielern der 2. Herren gab“, sprach die Zweitvertretung vereinsintern laut Ritter auch Spieler der 4. Herren (Kreisklasse 5) an, um sie für sich zu gewinnen, obwohl der Trainer der 4. Herren ausdrücklich darum gebeten hatte, seine Akteure nicht abzuwerben. „Damit hätten wir eine neue Baustelle aufgemacht und eine intakte Truppe zerstört“, gab Ritter zu bedenken.
Am vergangenen Mittwoch verkündete Ritter dann gegenüber Schacht die Entscheidung, das Team für die kommende Bezirksliga-Saison nicht mehr zu melden. Ritter verwies zudem darauf, dass „die im Winter vereinbarte Regelung mit Schacht als Trainer definitiv nur bis zum Sommer galt.“ Gleichwohl lobte er den Übungsleiter dafür, dass er „in den letzten Monaten wirklich hervorragende Arbeit geleistet“ hätte. Davon, die Dritt- oder Viertvertretung aus der Kreisklasse in die Bezirksliga hochzuziehen, sah die VfL-Führung bewusst ab: „Da wären hohe Niederlagen vorprogrammiert gewesen.“ Deshalb heißt es jetzt für den VfL 93 II in der Bezirksliga, wieder frei nach Trapattoni: Ich habe fertig.
(Johannes Speckner)